Leseprobe
Die Schmiedin von Treveris
Verlag Weyand
ISBN 9 783942 429689
10,90 €
Der Tag, an dem alles anfing war ein ganz normaler Sommertag. Normal, bis auf die Sache mit den beiden Schiffen, durch die wir uns kennenlernten. Ich war damals acht Jahre alt. Meine Mutter starb kurz nach meiner Geburt. Ich bin mit meinem Vater und in seiner Werkstatt aufgewachsen. Die beiden Jungen, von denen ich gleich erzählen möchte, waren zwei Jahre älter.
Wie so oft zog es mich an jenem Vormittag an den Fluss. Mein Vater musste auf eines der großen Landgüter und die Pferde beschlagen. Wenn er nicht da war, drückten unsere Knechte ein Auge zu und ließen mich gehen. Sie wussten, dass sie sich auf mich verlassen konnten. Ich würde pünktlich und unbeschadet wieder zurück sein. Es war eine halbe Leuge weit bis zum Ufer der Mosella. Ich schlich mich durch das Stadttor und versuchte, nicht von den Wachen bemerkt zu werden. Das war ein Spiel. Die Zeiten waren ruhig. Schon seit Jahren kamen keine Germanen mehr über den Rhenus, um plündernd in die Provinzen auf unserer Seite des Flusses einzufallen. Nicht wie damals, als meine Großmutter – sie war noch eine junge Frau und hatte gerade mal zwei Kinder geboren – nach einem Überfall auf die Stadt von germanischen Kriegern verschleppt worden war. Drei Tage später fand man sie an einem unserer Heiligtümer auf der anderen Seite der Mosella – vergewaltigt und verblutet.
Die Stadttore wurden in jenen Jahren nur in der Nacht geschlossen. Tagsüber gab es einen regen Verkehr in die Stadt hinein und hinaus – Reiter, Wanderer, Händler, Soldaten. Am meisten war am westlichen Stadttor los, hinter dem es gleich auf die Brücke über die Mosella ging, der einzige immer begehbare Übergang über den Fluss weit und breit. Ich schlängelte mich durch die vielen Menschen auf der Brücke und stieg auf der gegenüberliegenden Seite zum Tempel des Lenus Mars hinauf. Von dort aus hatte man einen wunderschönen Blick über die Stadt mit ihren rechtwinkligen Straßen und Gassen, den vielen kleinen und großen Häusern, den Badeanlagen, dem Kaiserpalast mit der hohen Empfangshalle und oben am Berg dem Circus und dem Theater. Als Kind liebte ich es, hier auf einer Mauer zu sitzen und die Stadt zu betrachten. Da konnte ich ungestört meinen Träumen nachhängen. Dort oben war es ruhiger als unten und auch die Luft war besser. Da duftete es im Frühling nach den ersten Blumen, im Sommer nach dem Gras der Wiesen und im Herbst nach dem herabgefallenen Laub. In der Stadt, da roch es gar nicht gut. Besonders im Sommer wartete ich manchmal sehnsüchtig auf einen Regen, der genug Wasser brachte, um alle Kloaken durchzuspülen.
Ich erinnere mich noch genau, wie es an jenem Tag war. Von rechts kam ein Handelsschiff die Mosella herunter. Es war sicher in Dividorum beladen worden, vielleicht mit Waren aus dem fernen Osten des Reiches, wo Oliven wuchsen und Datteln, wo alle Mädchen so klein waren wie ich, aber eine dunkle Haut hatten, wo es immer warm war und die Dämmerung kurz. Manchmal ging meine Fantasie mit mir durch, wenn ich eines dieser Schiffe ankommen sah und mir vorstellte, welchen Weg das alles genommen hatte, womit es vollgeladen war – über das Meer im Süden und dann diesen großen Fluss, den Rhodanus hinauf. Gesehen hatte ich ihn noch nie, vorgestellt hatte ich ihn mir oft. Ich fand es immer faszinierend, wenn die Frauen auf dem Markt von jenen Ländern erzählten, von dem, was die Soldaten berichteten und die Händler.
Ich drehte mich um, schaute auf der anderen Seite den Fluss hinunter. Ein Schiff mit Soldaten bog um die letzte Kurve. Die Männer zogen nicht das Boot, wie es Händler getan hätten. Sie waren kräftig und so viele, dass auf jeder Seite zwanzig von ihnen die Ruder ins Wasser stießen und das Schiff gegen den Strom vorwärtstrieben. Sie waren wirklich schnell.
Auf der rechten Seite kam das Handelsschiff. Die Mosella zog es zu Tal. Vor der Brücke war das Flussbett enger als gewöhnlich und die Strömung stärker. Von meinem hoch gelegenen Sitzplatz aus konnte ich erkennen, dass die Männer auf dem Kahn hektisch damit beschäftigt waren, ihr Boot in der Flussmitte zu halten. Würde es sich querlegen, könnte es gegen die Brückenpfeiler geschwemmt werden und zerbrechen. Die Männer schafften es, die Pendelbewegung des Rumpfes zu vermindern, aber sie hatten das Schiff nicht mehr in ihrer Gewalt. Sie holten das Segel ein und versuchten durch ins Wasser herabgelassene Ruder die Wirkung des Steuerruders zu verstärken. Das Boot begann zu schwanken, es war nur noch wenige Meter von der Brücke entfernt. Ich hatte meine Zweifel, ob das gut ging. Der Handelskahn lief auf einen der Pfeiler zu, die Besatzung drückte ihn in letzter Sekunde mit Stangen zur Seite, er schoss durch die Brückenöffnung und stellte sich danach quer.
Ich sprang auf. Die Soldaten auf dem Schiff, das zu Berg fuhr, hatten nichts von alledem mitbekommen. Die ganze Zeit ruderten sie kräftig weiter, ja es schien so, dass sie aus Freude vor der bevorstehenden Ankunft oder einfach nur, weil es Spaß machte, noch schneller ins Wasser peitschten als bisher. Ich meinte, ihr übermütiges Rufen zu hören. Ein Unglück stand bevor.
Als das Handelsschiff durch die Brückenöffnung schoss, bemerkten es auch die Soldaten. Sie konnten jedoch nicht schnell genug anhalten. Die Schiffe prallten zusammen, der Bug des Kriegsschiffes bohrte sich mit einem lauten Krachen seitlich in den Rumpf des Kahns der Händler. Auf der Brücke und am Ufer schrien die Menschen auf.
Die beiden Boote begannen, die Mosella hinunterzutreiben. Die Soldaten jedoch waren erfahrene Ruderer. Es gelang ihnen, die ineinander verkanteten Rümpfe ans Ufer zu lenken. Sie blieben an einem Vorsprung der Hafenmauer hängen. Schnell eilten Ladeknechte herbei, fingen die ihnen zugeworfenen Seile auf und machten sie an den Pollern der Kaianlage fest.
Das Geschrei der Menschen am Hafen wurde lauter. Es musste in der ganzen Stadt zu hören sein. Ich wollte dabei sein und sehen, wie es weiterging, ob meine Hilfe gebraucht wurde, lief den breiten Weg zur Mosella hinunter, drängte mich durch die aufgeregt durcheinanderredenden Menschen auf der Brücke hindurch und rannte zum Kai.
Ich kam neben zwei Männern zu stehen, die sich seelenruhig über das Unglück unterhielten. Gemeinsam waren ihnen der dicke Bauch und die ungepflegten Haare. Ich kannte sie, es waren zwei der Wirte aus den Tavernen hinter der Stadtmauer, in denen die Hafenarbeiter abends ihren Wein oder ihr Bier tranken.
„Das weiß doch jeder, dass die Strömung zur Brücke hin zunimmt“, sagte der eine. „Wie kann man nur so dumm sein und die Flussmitte befahren.“
„Ja, Händler sind eben keine Schiffer“, sagte der andere. „Die können billig einkaufen und teuer verkaufen, aber ein Schiff steuern, das können sie nicht.“
Die beiden rieben sich ihre Bärte im Gleichtakt.
„Die Soldaten hätten auch etwas vorsichtiger sein können“, meinte nun der eine. „Extra noch ein paar Schläge zulegen, nur damit man so richtig mit Tempo in den Hafen einfahren kann, ist auch kein guter Stil.“
„Wahrscheinlich wollten sie den Hafenarbeitern zeigen, was für gute Schiffsleute sie sind“, sagte der andere. „Aber man muss auf dem Wasser immer damit rechnen, dass jemand einen Fehler macht.“
„Jugendlicher Leichtsinn.“
„Unfähige Händler.“
„Hier können wir nichts mehr machen.“
„Komm, wir gehen zurück.“
Kopfschüttelnd drehten sie sich um und gingen durch das Stadttor.