Tertullian

Der Roman

Eine  Leseprobe

Hermogenes



Karthago hatte einen neuen Star. Überall redete man von ihm. Ein Maler und ein unterhaltsamer Redner. Hermogenes war in Mode gekommen. Man ließ seine Speiseräume von ihm ausmalen, man lud ihn zu den Festmählern ein. Man schmückte sich mit ihm. Er konnte in wunderbarer Weise gegen die Juden und die Christen polemisieren. Nichts war vor seinem Spott sicher. Vor allem aber kam er aus dem Osten, aus Antiochia, einer der Hochburgen der Redekunst und der Bildung, aus jener Gegend, in der es mehr Götter als Tempel gab, wo die Frauen freier und die Männer lebenslustiger waren, die Feste üppiger, die Sklavinnen exotischer, das Leben leichter, die Natur prachtvoller, wo eigentlich alles besser war als in Karthago, der jungen Stadt der Arbeit und des Handels am Rande der Wüste, abhängig von Rom, ständig bemüht seine Identität zu finden und zu behaupten. Hermogenes verkörperte das, was man gerne sein wollte. 

Nun war er also da. Wann und wie er gekommen war, wusste niemand so genau. Wer ihn entdeckt hatte auch nicht. Aber in wenigen Wochen war er zum Stadtgespräch geworden, und man musste ihn einfach gesehen und gehört haben. So recht verstand man auch nicht, was er sagte, aber wie er es sagte, war einfach köstlich, unterhaltsam, geistreicher Spott. 

Hermogenes war eine der schillernden Gestalten, wie es sie viele gab zu jener Zeit. Eine Mischung aus religiösem Führer und Philosoph, ein bisschen Christentum, ein bisschen Philosophie, ein bisschen orientalische Mysterien. Wenn es dann noch gelang, selbstbewusst und galant aufzutreten, die Neugier der Menschen zu wecken, konnte man davon ganz gut leben. Man fand reiche Gönnerinnen, manchmal auch wohlhabende Gönner, man wurde eingeladen und herumgereicht, bekam wertvolle Geschenke und war in aller Munde. Hermogenes hatte neben seiner Rednerkunst noch ein zweites Geschäftsmodell entwickelt. Er konnte malen. Auf jeden Fall war er davon überzeugt und diejenigen, die ihm bereitwillig ihre Türen öffneten auch. Er hatte seinen eigenen Stil und manchen gefiel das. Vor allen Dingen malte er einmal etwas anderes, als die anderen Maler Karthagos. Bei ihm hatte alles einen leichten Hauch von Orient, die Göttinnen erschienen geheimnisvoller, die Landschaften vielfältiger, die Badeszenen freizügiger. 

Am liebsten jedoch malte Hermogenes Portraits, vor allem von Frauen, gerne auch jungen Frauen. Es war wohl die intime Situation zwischen Maler und Modell, die dazu geführt hatte, dass Hermogenes bereits fünf Mal verheiratet gewesen war. Auf jeden Fall erzählte man sich das aufgrund gut informierter Quellen aus dem Osten des Reiches. In Karthago war er jedoch ohne eine Frau angekommen, was den Mann mit den gepflegten langen Haaren in den Augen vieler Damen noch interessanter erscheinen ließ. 

Um Aufträge für Porträts musste Hermogenes sich nicht sorgen. So manche Frau wollte gerne einmal ein paar Stunden mit diesem erotischen Mann alleine sein. Auch wenn eine römische Frau traditionell eher häuslich und züchtig sein sollte, so waren dies doch Vorstellungen aus der längst vergangenen Zeit der Republik. 

Auch Marcus Vibius hatte Hermogenes zu einem seiner Feste eingeladen. Es war ein Essen mit seinen Freunden und ihren Frauen. Also ging es wesentlich züchtiger zu als bei seinen bereits legendären Festen zu Beginn der Sommerpause, wenn die Frauen und Kinder sich schon in die frischeren Täler im Hinterland zurückgezogen hatten. Die Rede des Hermogenes war eine philosophische, aber er verstand es, mit schlüpfrigen Zwischenbemerkungen die Aufmerksamkeit seiner Hörerinnen und Hörer zu fesseln. 

 „Wie ist unsere Welt entstanden? Ich glaube diese Frage beschäftigt uns immer wieder, und es gibt so viele Antworten. Vor allem gibt es so lächerliche Antworten. Habt ihr schon einmal gehört, was die Juden behaupten? Und mit ihnen diese Christen? Behaupten sie doch, Gott habe die Welt aus dem Nichts geschaffen. Wie kann das sein? Aus nichts kann nur nichts werden. Das weiß doch jedes Kind. Das Brot machen wir aus Getreide, den Wein aus Trauben, die Krüge aus Ton. Aber aus dem Nichts? Das kann auch keiner der Götter. Selbst wir Menschen, die wir doch viel mehr sind als Krüge oder Brot, entstehen doch nicht aus dem Nichts. Vielmehr entstehen wir aus der höchst vergnüglichen Zusammenkunft zweier Menschen. Aus zwei werden eins – und dann noch eins und noch eines. Und immer sind daran zwei Menschen beteiligt und zwar auf eine höchst angenehme Weise.“ 

Er erhob seinen Weinbecher und prostete den Zuhörern zu. Die prosteten zurück und amüsierten sich prächtig. Dann warf Hermogenes seine Haare nach hinten und machte ein gespielt ernstes Gesicht. 

 „Manche behaupten sogar, ein Gott habe alles aus sich selbst heraus geschaffen. Nun ja, dann wäre alles, was es gibt, ein Teil eines Gottes. Der Krug wäre genauso göttlich wie das Brot, genauso göttlich wie ein Mensch. Nun ja, was den Wein angeht, da mögen diese Menschen recht haben. So mancher schmeckt göttlich und wenn man ihn trinkt, dann fühlt man sich auch göttlich. Aber wenn das stimmt, was sie sagen, dann wären auch die verdreckten und verschwitzten Arbeiter im Hafen göttlich und die Sklaven auf den Galeeren. Nein, beim besten Willen, das kann nicht sein. Wenn ich mich allerdings hier umschaue, dann erscheinen manche der hier anwesenden Damen tatsächlich etwas Göttliches an sich zu haben.“ 

Ein Kichern ging durch den Raum. 

 „Nein, alles was es gibt, ist aus Materie gemacht, aus dem, was wir sehen und anfassen können. Nun, meine Herren, legen sie einmal ihre Hand auf die Brust ihrer Nachbarin – und scheuen sie sich nicht, wenn es nicht ihre eigene Frau sein sollte. Was fühlen sie? Ja, das ist wirklich. Das ist doch wohl die schönste Form von Materie, die wir kennen.“ 

Der Saal brüllte. Hermogenes hatte sie alle im Griff. Nun konnte er weiterreden, solange er wollte. Wenn er nur immer wieder eine seiner beliebten Anspielungen einfügte, nahm man ihm alles ab. 

Tertullian saß neben Salvia, und er war der Aufforderung des Hermogenes nicht gefolgt. Vielmehr schüttelte er den Kopf, und je länger Hermogenes redete, desto öfter murmelte er: „Solch ein Unsinn.“ Am Ende der Rede von Hermogenes brauste Beifall auf und Hoch-Rufe gelten durch den Raum. Tertullian wandte sich an Salvia und sagte: „Wenn alles aus Materie gemacht worden ist, dann ist die Materie so alt wie Gott, und dann ist Gott nicht der Anfang, und Gott ist nicht Gott. Das ist Blasphemie. Das ist Häresie.“ 

Tertullian sprang auf, ging auf Hermogenes zu, der gerade von drei Frauen umringt einen Trinkspruch von sich gab. Er schob sich dazwischen, packte Hermogenes mit einer Hand an dessen Gewand, rüttelte ihn hin und her und schrie: „Solch einen Unsinn habe ich schon lange nicht mehr gehört. Das ist gotteslästerlich. Das ist eines denkenden Menschen nicht würdig.“ 

Hermogenes schaute ihn erstaunt an, warf seine Haare nach hinten und lächelte dann: „Wenn du meinst? Ich habe aber den Eindruck, es hat den Leuten gefallen.“ 

Tertullian stieß ihn zurück und wandte sich dem Ausgang zu. Lange nicht alle Anwesenden hatten diesen kleinen Zwischenfall bemerkt, aber einigen war er nicht entgangen. Auf seinem Weg zum Ausgang kam Tertullian an Marcus Vibius vorbei, sagte zu ihm: „Wie konntest du nur einen solchen Schwätzer einladen?“ und verließ das Haus. 

Hermogenes jedoch erhob seinen Weinbecher und rief: „Oh, noch ein eifersüchtiger Ehemann!“ Die Frauen lachten, und man redete weiter. 

Als Tertullian zu Hause angekommen war, rief er Nartzalus, der sich schon mit seiner Familie zur Ruhe begeben hatte, und sagte zu ihm: „Nartzalus, wir müssen schreiben.“ Der quälte sich von seiner Liegematte, beruhigte die Kinder, die aufgewacht waren, und trottete in die Schreibstube. In dieser Nacht entwarf Tertullian seine Schrift gegen Hermogenes, überarbeitete sie in den nächsten Tagen und ließ sie dann in der christlichen Gemeinde verteilen. Sie schloss mit den Sätzen: 

 „Es steht fest, dass es am Anfang der Welt keine Materie gegeben hat, ebenso sicher ist bewiesen, dass alles von Gott aus nichts geschaffen worden ist. Hermogenes beschreibt den Zustand der Materie als einen ungeordneten, verworrenen, wirren, als den einer unklaren, hastigen und gärenden Bewegung. Genauso ist er selbst. Er sozusagen sich selbst abgemalt.“ 



Es dauerte nur wenige Tage, bis Hermogenes diese Schrift in die Hände bekam. Es fiel ihm nicht schwer zu erraten, zu welcher Sorte Mensch dieser Tertullian gehörte. Etwas Ähnliches hatte er schon einmal gelesen, in Antiochia am Orontes. Dort war es der Bischof der christlichen Gemeinde mit Namen Theophilus gewesen, der ein ähnliches Traktat unter die Leute gebracht hatte. Diese kleine Schrift hatte ihm großen Ärger bereitet. In Antiochia war es Theophilus gelungen, die Menschen auf seine Seite zu ziehen und nicht nur die Christen. Für Hermogenes war das äußerst geschäftsschädigend gewesen, und er musste der Stadt den Rücken kehren. Das sollte ihm in Karthago nicht passieren. 

Er wandte sich an Vibullius Pollio. Der war der Besitzer einer Werft im Handelshafen. Die Karthager waren zu Recht stolz auf ihre Schiffsbaukunst und die qualitätvollen Werften ihrer beiden Häfen. Kein anderer Hafen des Mittelmeeres konnte so viele Trockendocks vorweisen, die entweder dem Schiffsbau dienten oder für die Reparatur bereits eingesetzter Schiffe verwendet wurden. Die Schiffsbaukunst war eine der wesentlichen Quellen für Karthagos Reichtum. Je besser die Schiffe, desto schneller und sicherer der Handel. Je schneller und sicherer der Handel, desto größer der Vorsprung vor anderen Hafenstädten und desto größer der Gewinn. Je größer der Gewinn, desto größer die Macht. Die Werftbesitzer gehörten traditionell zu den mächtigsten Männern der Stadt. 

Vibullius Pollio war regelmäßiger Gast bei Marcus Vibius. Er war ein wichtiger Teil des Netzwerkes, das Marcus sich in den letzten Jahren aufgebaut hatte. Vibullius hatte Verbindungen in alle Bereiche der Wirtschaft und der politischen Kräfte. Er hatte es erreicht, dass es zu festen Absprachen mit der Kriegsmarine gekommen war bezüglich der Durchfahrtszeiten durch den Handelshafen. Der Hafen der Kriegsschiffe lag landeinwärts hinter dem Handelshafen und wurde so durch diesen geschützt. Wer von See aus den Kriegshafen erreichen wollte, musste erst durch das Nadelöhr des Handelshafens. Damit geriet er zwangsläufig in einen Hinterhalt. Karthago von See aus zu erobern, war nahezu unmöglich. Für die Arbeit im Handelshafen war dies jedoch von großem Nachteil. Die Durchfahrt der Schiffe des Prokonsuls aus dem Kriegshafen durch den Handelshafen hatte immer Priorität, und nicht selten wurden die Verladearbeiten im Handelshafen gestört, wenn die Kriegsmarine aus- oder einfuhr. Vibullius Pollio hatte zusammen mit anderen Mitgliedern der städtischen Kurie erreicht, dass sich der Prokonsul nach langen Gesprächen darauf eingelassen hatte, dass die Kriegsschiffe in Friedenszeiten jeweils zwei Stunden zuvor ihre Durchfahrt an den Handelshafen meldeten und man sich so darauf einrichten konnte. Diese Absprache hatte das Verhältnis der Handelsschifffahrt zur Kriegsmarine völlig verwandelt. Statt sie mit ihrem Vorfahrtrecht als einen lästigen Gegner anzusehen, hatten sich innerhalb kurzer Zeit gegenseitiges Verständnis und Kooperation eingestellt. Man empfand das Verhalten der Kriegsmarine nicht mehr als Willkür, die Soldaten hielten die Handelsschiffe nicht mehr für unangenehme Hindernisse. Diese Absprache war, wie sicher später zeigen sollte, einer der bedeutendsten Schritte auf dem Weg zu einer größeren Selbstständigkeit Karthagos gewesen, wie sie letztlich vom Kaiser gewährt werden sollte. 

Vibullius Pollio gehörte zu den wichtigsten Mäzenen des Hermogenes. Zum einen gefiel ihm die schlüpfrige Lebensbejahung dieses Philosophen und Malers, zum anderen passte dessen Betonung der Materie ins Weltbild des Vibullius. Von Göttern hatte er nie so arg viel gehalten, er vertraute mehr auf die Klugheit und Schaffenskraft der Menschen, vor allem auf seine eigene. Zudem war er der Meinung, dass die wichtigsten Dinge im Leben die sind, die man anfassen kann: Schiffe, Waren, Geld. Vibullius war der Ansicht, dass es mehr Menschen von der Art des Hermogenes geben müsste, die der Schar der Priester, Redner und Philosophen mit geschliffener Sprache Paroli bieten könnten. Das Brimborium der Priester und das Geschwafel der Philosophen waren ihm immer schon zuwider gewesen. Zudem waren der Unterhalt der Tempel und der Priester, die vielen Opfergaben und das vergeistigte Gerede der Philosophen letztlich geschäftsschädigend. Hermogenes erschien ihm in jeder Hinsicht lebensnah und auf das Wesentliche ausgerichtet. 

Deshalb hatte er ein offenes Ohr für den langhaarigen Maler aus dem Orient, als dieser eines Tages bei ihm vorsprach und ihm eine Abschrift der Streitschrift des Tertullian präsentierte. 

 „Vibullius, mein Gönner“, begann Hermogenes, „ich habe in dir immer einen verständigen Gesprächspartner gefunden. Du gehörst zu den wenigen, die wirklich verstanden haben, worum es mir geht – und wie wichtig es für den Wohlstand Karthagos ist, dass wir uns nicht von den Hirngespinsten so mancher sogenannter Philosophen in die Irre führen lassen.“ 

 „Ich höre dir zu“, hatte Vibullius geantwortet. „Du erscheinst mir als ein Mann, der es versteht, den Dingen auf den Grund zu gehen. Was führt dich zu mir?“ 

 „Es ist eine kleine Schrift eines kleingeistigen Mannes, die mir aber doch langsam beginnt, Schwierigkeiten zu machen. Es ist dieser Tertullian. Er stammt aus einer alten Familie Karthagos, aber er scheint mir den Weg der Wahrheit verlassen zu haben. So bedeutend sein Vater gewesen ist, so wenig bedeutend scheint mir das zu sein, was sein Sohn von sich gibt. Jedoch haben das noch lange nicht alle erkannt. Wohl in Erinnerung an den Ruhm seines Vaters scheint er mit seiner Schmähschrift bei einigen Gehör zu finden. Zudem habe ich gute Gründe anzunehmen, dass er zu dieser Sekte der Christen gehört.“ 

 „Tertullian ein Christ? Das wäre allerdings ungeheuerlich. Ist das nicht dieser Abschaum der Menschheit, die in ihren Versammlungen Menschenfleisch essen?“ 

 „Ja, das erzählt man über sie, auch wenn ich das nicht bestätigen kann, weil ich noch nie bei einer ihrer Versammlungen war. Doch kenne ich diese Menschen schon lange. Zuletzt bin ich ihnen in Antiochia am Orontes im Osten unseres Meeres begegnet. Dort hatte einer, den sie ihren Bischof nannten, eine ganz ähnliche Schrift verfasst wie dieser Tertullian. Und diese Schrift hatte die Gedanken vieler Menschen in der Stadt verwirrt.“ 

 „Wie meinst du das, Hermogenes. Erzähle!“ 

 „Nun, der Streit war ein ganz ähnlicher wie hier bei uns im blühenden Karthago. Es ging um die philosophische Frage, was zuerst da war, Gott oder die Materie. Du weißt, dass ich aus guten Gründen die Meinung vertrete, dass zuerst die Materie da war oder dass doch zumindest Gott und die Materie gleich alt sind. Denn Gott hat alles aus Materie geschaffen.“ 

 „Ich kenne deine Meinung, und ich teile sie“, erwiderte Vibullius. 

 „Dann weißt du ja auch, dass es bei der Frage des Alters auch darum geht, was wichtiger ist. Gott oder die Materie. Die Gott den Vorrang geben, behaupten, dass damit alles Materielle auch zweitrangig sei. Einer von denen hat es einmal auf die kurze Formel gebracht, man solle Gott mehr lieben als das Geld. Aber wir wissen, wie gefährlich es ist, wenn diese Meinung um sich greift. Dann steht alles, was im Namen eines Gottes gefordert wird, über dem, was wirklich unser Leben ausmacht. Es ist dies die alte Masche, mit der die Priester der Tempel uns unser Geld aus der Tasche ziehen. Da geben wir Unsummen für Weihrauch und Opfertiere aus, nur weil es heißt, dass dies den Göttern gefalle. Da stiften wir einen Teil unseres Erbes, das eigentlich unseren Kindern zusteht, den Tempeln, nur damit diese noch prächtiger und die Priester noch fetter werden.“ 

 „Ja, und einige geben ihr Geld für die Tempelhuren aus statt zu den richtigen Huren zu gehen“, warf Vibullius ein. 

Hermogenes stockte einen Moment, nickte dann aber heftig. „Du siehst, es geht um etwas ganz Wesentliches, und wir müssen vermeiden, dass dieser Tertullian mit seiner irrigen Meinung noch mehr einflussreiche Personen unserer Stadt auf seine Seite zieht.“ 

 „Besteht diese Gefahr denn wirklich? Das kann ich mir kaum vorstellen!“ 

 „Du kennst doch die Macht der Religion. Sie hat sich tief in die Seelen der Menschen eingegraben. Sie macht ihnen Angst, dass es mit ihrem Leben nicht gut verläuft, wenn sie nicht den Göttern opfern. Das wird den Kindern eingetrichtert und ist aus den Erwachsenen nicht mehr heraus zu bekommen.“ 

Vibullius nickte nachdenklich. 

 „Deshalb“, so fuhr Hermogenes fort, „ist es so wichtig, dass wir diesem Treiben ein Ende setzten. Und es wird nicht besonders schwierig sein, wenn wir nachweisen können, dass dieser Tertullian zu den Christen gehört.“ 

Vibullius schwieg eine Weile. Er erhob sich von seinem Sitz und ging im Zimmer umher. Schließlich sagte er: „Viele meiner Freunde werden der gleichen Meinung sein. Viele ärgert es, wenn immer wieder in den Tempeln gesagt wird, das Karthago seine Blüte dem Wohlwollen der Götter zu verdanken habe. Dabei wissen wir alle, dass es die Intelligenz und die Schaffenskraft der Seefahrer und Händler ist, denen Karthago seinen Reichtum verdankt. Und den hervorragenden Schiffsbauern selbstverständlich“, fügte er lächelnd hinzu. „Jedoch ist Tertullian ein geachteter Mann, auch wenn manche ihm vorwerfen, er würde sich zu sehr zurückziehen und sich nicht genug für das Wohl der Stadt einsetzen. Aber mit dem Bau dieses Hospitaliums, wie er es nennt, konnte er doch bei einigen punkten. Andere halten es für Geldverschwendung, ich auch.“ 

 „Wir werden sicher Verbündete finden. Und wenn der Prokonsul ihn verurteilt, dann haben wir leichtes Spiel“, sagte Hermogenes. 

 „Ja, wenn“, sagte Vibullius nachdenklich. 



Zwei Tage später hielt die Sänfte des Marcus Vibius vor dem Haus Tertullians. Es war schon dunkel geworden, die Straßen waren recht leer, und kaum einer bemerkte diesen Besuch. Marcus hatte dieses Mal auch darauf verzichtet, die Sklaven mitzunehmen, die ihm normalerweise lautstark den Weg durch die manchmal engen Gassen Karthagos frei machen sollten. 

 „Ich muss Tertullian sprechen. Sofort!“ herrschte er den Sklaven an der Tür an. Der ließ ihn ein und lief aufgeregt ins Innere des Hauses. Tertullian saß wie üblich in seiner Schreibstube und eilte zum Eingang. 

 „Wo können wir ungestört reden?“ fragte Marcus. 

 „Eigentlich überall, aber lass uns in den Garten gehen“, gab Tertullian zurück, der seinen alten Freund verwundert anschaute. 

Im Garten angekommen bat Tertullian seinen Freund sich zu setzen, aber der wollte lieber stehen bleiben. 

 „Du bist in Gefahr, in großer Gefahr, Tertullian“, stieß Marcus hervor. „Sie haben herausgefunden, dass du Christ bist, und wollen dich jetzt beim Prokonsul anzeigen.“ 

 „Aber das ist doch nicht neu. Das wissen schon viele.“ 

 „Aber bisher haben sie geschwiegen. Nun wollen sie nicht mehr schweigen.“ 

 „Wer sind sie? fragte Tertullian. 

 „Mitglieder der Kurie, einige von den Händlern, ein paar aus dem Hafen, wenn ich es recht sehe. Allen voran Vibullius Pollio.“ 

 „Vibullius Pollio? Wieso der? Was habe ich ihm getan?“ 

 „Ihm hast du vielleicht nichts getan, aber seinem Liebling, diesem Hermogenes, diesem Schwätzer, wie du ihn genannt hast.“ 

 „Aber das habe ich doch nur zu dir gesagt.“ 

 „Und dann hast du dich wohl wieder einmal hingesetzt, um eine deiner berüchtigten Streitschriften zu schreiben – mit all dem Spott und Sarkasmus, der dich schon als junger Mann ausgezeichnet hat, mein Lieber.“ 

Tertullian schaute vor sich hin. „Das stimmt. Ich habe eine Schrift verfasst für die christlichen Gemeinden der Stadt. Und du musst doch zugeben, er ist wirklich ein Schwätzer.“ 

 „Das mag sein. Ich kann das nicht beurteilen. Aber ich weiß, dass er bei Vibullius war, und dass der nun eine Intrige schmiedet, um dich zu Fall zu bringen. Um dich, genauer gesagt, umzubringen.“ 

Tertullian schaute nachdenklich unter sich. Dann sagte er: „Wenn es sein soll, muss es geschehen.“ 

 „Wie bitte?“ Marcus Vibius sprang auf. „Das meinst du nicht ernst.“ 

 „Wenn sie uns verfolgen, dann sollen wir uns dem nicht entziehen. Diese Meinung habe ich immer vertreten.“ 

 „Ist das wieder deine dumme, verdammte Radikalität?“ 

 „Es ist meine feste Überzeugung.“ 

 „Deshalb ist es nicht weniger dumm und lebensgefährlich, ja selbstmörderisch.“ 

 „Jesus ist auch nicht geflohen, als sie ihn gefangen nehmen wollten.“ 

 „Lass mich mit deinem Jesus in Ruhe. Ich bin dein Freund, und wenn ich auch nicht immer deiner Meinung bin, so möchte ich dich doch nicht verlieren.“ Marcus hielt einen Moment inne. „Und Donata und die anderen in deinem Hause sicher auch nicht.“ Er stellte sich vor Tertullian auf. „Außerdem, mein Lieber: Ich werde es nicht zulassen, dass ein Karthager aus dem Stand der Equester hingerichtet wird, nur weil er so dumm ist, sich dem nicht zu entziehen, wenn er es könnte.“ 

 „Für dich ist das Christentum wohl auch die Religion der Armen und Ungebildeten?“ fragte Tertullian mit einem unüberhörbaren Unterton. 

 „Es ist mir egal, wer oder was ihr seid. Aber ich werde nicht zulassen, dass dieser römische Prokonsul einen der unseren zum Tode verurteilt.“ Marcus wandte sich um und verließ wutentbrannt das Haus.
 

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